”Klare Kante gegen rechtsextreme Positionen und gleichzeitig hinschauen, was junge Menschen dazu bringt, rechte Parteien zu wählen.” Diese Aussage eines Teilnehmers beantwortet die titelgebende Frage der diesjährigen Jugendseelsorgetagung der katholischen Jugend der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Rot an der Rot auf den Punkt. Die rund 120 Teilnehmenden vom 13. bis 16. Januar beschäftigten sich damit, wie sie mit dem steigenden Rechtsruck in der Gesellschaft und auch bei jungen Menschen umgehen können, der sich zuletzt in den Ergebnissen der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen gezeigt hat.
Neben der Sensibilisierung für das Thema durch mehrere Fachreferate ging es darum, die Teilnehmenden kompetent im Umgang mit diskriminierenden Meinungen und Haltungen von jungen Menschen zu machen. Prof. Dr. Rolf Ahlrichs von der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg machte in seinem Vortrag deutlich, dass “Demokratiebildung kein punktueller Lösungsansatz ist, der, sobald das rechtsextreme Potential sinkt, wieder in der Schublade versinkt. Es geht dabei vielmehr um ein langfristiges Verständnis von demokratischen Prozessen und deren Erfahrung durch persönliche Teilhabe.” Menschen, die Selbstwirksamkeit in ihrer individuellen Lebensgestaltung erfahren haben, sind weniger anfällig für extreme Haltungen.
Demokratiebildung ist eine zentrale Aufgabe der Kinder- und Jugendarbeit und wird dort auf allen Ebenen durch Mitbestimmung und Mitgestaltung von Gruppenprozessen- sei es im Zeltlager, im Jugendverband oder im selbstorganisierten Schülercafé/Weltladen - erfahrbar. Angesichts des Erstarkens menschenfeindlicher Aussagen und Haltungen in der Gesellschaft gilt es die demokratische Mehrheit der jungen Menschen zu stärken, und sich Verbündete in der Zivilgesellschaft suchen, um gemeinsam mutig für Demokratie und Menschenrechte einzustehen. “Es gilt jetzt das Trägheitsmoment zu überwinden und eine Mehrheit gegen Rechts zu mobilisieren. Damit erst nach der Bundestagswahl am 23. Februar zu starten, ist zu spät”, resümierte Ahlrichs.
Selbstwirksamkeit und das Ermöglichen von positiven emotionalen Erfahrungen für das eigene Leben sind Schlüsselfaktoren, damit junge Menschen weniger anfällig für ein rechtsextremes Weltbild sind. Zu diesem Ergebnis kommt Dominik Blacha von der Fachstelle Extremismusdistanzierung Baden-Württemberg (FEX). Er stellte den Teilnehmenden eine Methode vor, mit der situativ oder mit speziellen Angeboten auf diskriminierende Aussagen oder Handlungen junger Menschen im Arbeitskontext Jugendarbeit reagiert werden kann. “Denn neben der klaren Distanzierung von menschenfeindlichen Positionen und Parteien müssen auch die Auslöser einer Radikalisierung junger Menschen in den Blick genommen werden. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass die Anliegen junger Menschen oftmals nicht gehört und ernstgenommen werden - ganz besonders während der Coronapandemie, aber auch in der Frage nach einer lebenswerten Zukunft”, meint Nadine Maier, Diözesanjugendseelsorgerin des Bischöflichen Jugendamtes. An die Politiker*innen gerichtet appelliert die katholische Kinder- und Jugendarbeit deshalb, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in politische Entscheidungsprozesse, die sie betreffen, miteinbezogen werden. Dazu müssen geeignete Beteiligungsformate dauerhaft angelegt werden.
In zahlreichen Workshops vertieften die Teilnehmenden das Thema “Rechtsextremismus in der Jugendarbeit” und eigneten sich Strategien und Argumentationskompetenz an, um in der Auseinandersetzung mit antidemokratischen Akteur*innen deren menschenverachtendes Weltbild zu entlarven sowie die möglichen Beweggründe dafür zu erkennen. Das Fazit der Tagung zur Ausgangsfrage “Offen für alle?” heißt demnach: “Wir bieten rechtsextremistischen und menschenfeindlichen Positionen keine Bühne in unseren Angeboten und sensibilisieren unsere Mitarbeitenden gegen unterschiedliche Formen von Diskriminierung. Wir setzen uns für die Interessen von Kindern und Jugendlichen auf allen Ebenen ein und schaffen durch Formate der Kinder- und Jugendarbeit Orte, an denen sich junge Menschen als selbstwirksam erleben und mitentscheiden können – auch im Sinne einer Extremismusprävention und Demokratiebildung, die nicht nur vor Wahlen sondern immer stattfinden muss.